Jeder Turnierreiter kommt irgendwann in die Verlegenheit, sich mit seinem Vierbeiner auf dem Abreiteplatz einzufinden, um sich auf die anstehende Prüfung vorzubereiten. Manchmal hat man dafür viel Zeit, manchmal muss man sich beeilen, aber zumindest ein paar Runden legt im Normalfall jeder von uns auf einem Turnier auf dem Abreiteplatz zurück. Leider gestaltet sich das Abreiten nicht immer ganz so einfach, wie man naiverweise zu Anfang annimmt.
Im Gegenteil, manches Mal fühlt man sich wie auf einem Schlachtfeld der Kavallerie, kurz bevor es in den finalen Kampf geht. Dem aufmerksamen Beobachter offenbaren sich dabei immer wiederkehrende Muster und Gegebenheiten, die ein bisschen davon abhängen, zu welchem Zeitpunkt man sich auf das Schlachtfeld, äh pardon, den Abreiteplatz wagt. Je nach Startfolge ist man in einer Prüfung mal zu Anfang, mal zum Schluss und häufig irgendwo in der goldenen Mitte am Start – doch mit der eigenen Startfolge ändert sich auch die Kampfstrategie, pardon, das Abreiteverhalten…
Erster Akt – Mögen die Spiele beginnen!
Du bist also einer der Vorreiter, ein tapferer Recke, der sich als einer der Ersten den kritischen Blicken der Richter aussetzt – beziehungsweise, du hattest einfach Pech und dein Pferd trägt einen Namen mit N, wenn die Startfolge M lautet? Herzlichen Glückwunsch, du darfst dir das Schlachtfeld vor allem mit einem gegnerischen Team teilen: den Überpünktlichen!
Die Überpünktlichen sind für sich genommen nicht besonders gefährlich. Meistens sind sie einfach nur zu gut vorbereitet und haben zu viel Zeit für´s Pferd waschen, Hinfahren und Aufsatteln eingeplant. Manchmal steht im Hintergrund eines Überpünktlichen auch einfach ein gut organisierter Kampfplaner, welcher die Uhrzeit GANZ genau im Auge behält und den Sprössling zur Eile ermahnt – schließlich könnte das Kampfgeschehen zu unvorhergesehenen Ereignissen führen.
Die Überpünktlichen sind daher stets vor ihrer geplanten Zeit vor Ort und nutzen die zusätzlich gewonnene Zeit effektiv – mit Abreiten! In der Regel sind die Überpünktlichen jedoch harmlos, da sie die Extra-Zeit regelmäßig für zusätzliche Schrittrunden nutzen und dabei nur dann nervtötend werden, wenn sie mit einem befreundeten Kämpfer zu zweit nebeneinander reiten oder sich nicht einigen können, ob auf dem ersten oder zweiten Hufschlag Schritt geritten wird. Im Ernstfall sind gut getimte Zickzack-Linien notwendig, um sich einen Weg durch die Überpünktlichen zu bahnen, darüber hinaus kommt man im ersten Akt des Abreitedramas jedoch meist noch recht glimpflich davon.
Zweiter Akt – Möge der Dreistere gewinnen!
Der zweite Akt wird oftmals als Königsdisziplin des Abreitens bezeichnet, denn jetzt geht es in die heiße Phase des Kampfgeschehens! Während die ersten tapferen Recken mehr oder weniger erfolgreich aus dem Kampf zurückkehren, bereitet sich die große Menge auf ihren Einsatz vor. Unter ihnen befinden sich die Hochkonzentrierten. Diese Gruppe zeichnet sich vor allem durch eines aus: Konzentration auf sich selbst! Die Stirn ist angestrengt gerunzelt, der Blick fieberhaft auf den eigenen Vierbeiner gerichtet, geritten wird genau so, wie das Schlachtross es gerade braucht – egal, ob zur Vorbereitung auf den Kampf Schenkelweichen über drei Hufschläge, Galopp-Halt-Übergänge oder der permanente Wechsel zwischen Renngalopp und versammeltem Trab benötigt werden, der Hochkonzentrierte wird alle notwendigen Vorbereitungen treffen – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste!
Die Außenwelt wird vollständig ausgeblendet und der Hochkonzentrierte ist eins mit sich und seinem Ross. Aufgrund dieser doch recht egozentrischen Kampfweise stellen Hochkonzentrierte eine Herausforderung dar, denn ihre Bahnen lassen sich kaum vorhersehen und ihr Verhalten ist unberechenbar. Abstand halten rettet einen nicht immer, kann aber allzu heftige Zusammenstöße vermeiden. Darüber hinaus hilft nur der Versuch, den Hochkonzentrierten durch dreiste Gegenmanöver aus seiner Konzentration zu reißen oder die Hoffnung, dass er vor lauter Konzentration auf sich selbst nicht seinen Kampfaufruf verpasst…
Neben den Hochkonzentrierten können im zweiten Akt vor allem die Ewigen ihr Potential voll ausschöpfen. Diese unermüdlichen Ritter zeichnen sich durch ihre Ausdauer aus und tarnen sich manches Mal als Überpünktliche, um dann im zweiten Akt ihr wahres Gesicht zu zeigen. Ewige ziehen stundenlang ihre Kreise. Auf dem Spring-Schlachtfeld wird nach der siebzehnten Wiederholung des Steilsprunges der Oxer vierzehn Mal geprobt, ehe zur Sicherheit noch einmal bei Null angefangen und das Aufwärmprogramm komplett wiederholt wird. Den Ewig-Springenden kann man jedoch relativ sicher ausweichen, solange man ihre Anflugs-und Landeschneise meidet und sie in ihrem Tempo die ganze Bahn entlangheizen lässt. Auch im Kampfbereich der Dressurritter lassen sich Ewige finden, die Runde um Runde ihre Spuren im Sand hinterlassen. Dressur-Ewige nehmen zwar dauerhaft Platz weg, sind im Gegensatz zu den Hochkonzentrierten aber meistens leichter vorherzusehen und können daher vom fuchsigen Kämpfer problemlos in die eigenen Vorbereitung integriert werden.
Ein viel gesehener Kämpfer auf dem Schlachtfeld ist im zweiten Akt auch der Olympionike. Diese furchtlosen Ritter sind gerne auf alle Herausforderungen vorbereitet und stählen sich und ihr Ross daher im Vorfeld des Kampfes auf´s Äußerste. Auf dem Spring-Schlachtfeld werden die Sprünge in luftige Höhe emporgezogen, auf dem Kampfplatz der Dressurkrieger wird zur Sicherheit auch für die A-Dressur Passage und Piaffe in Kombination mit fliegenden Galoppwechseln geprobt. Man weiß schließlich nie, was das Schlachtfeld für Herausforderungen mit sich bringt! Olympioniken nehmen den Kampfplatz für einen mehr oder weniger langen Zeitraum vollständig in Beschlag – entweder, du traust dich und versuchst dich in sicherem Abstand hinter dem Olympioniken ebenfalls an den olympischen Vorbereitungshandlungen, oder du wartest, bis der Olympionike siegessicher in den Kampf zieht – denn aufhalten wirst du ihn nicht!
Dritter Akt – Mögest du auf ewig schmoren!
Du wähnst dich in Sicherheit, da du zur reitenden Nachhut gehörst und dich als einer der Letzten im Kampf beweisen musst? Dann hast du die Rechnung ohne die Wartenden gemacht! Die Wartenden haben ihren Kampfeinsatz bereits hinter sich und harren nun sensationslüstern am Rande des Schlachtfeldes aus, um den Ausgang des Kampfes abzuwarten. Im Verlauf der Schlacht wächst die Zahl der Wartenden, so dass sich im dritten Akt nicht selten eine respektable Anzahl an Wartenden an den Ein-und Ausgängen des Schlachtfeldes ansammelt und dich daran hindert, das Kampfgeschehen zu verlassen- frei nach dem Motto „Du kommst hier nicht raus!“. Manch ein Wartender nutzt die Zeit bis zum Kriegsende, um sein Ross in Bewegung zu halten und gesellt sich zu den letzten Recken und den übrigen Ewigen auf das Abreite-Schlachtfeld – häufig lenken sie ihr Ross dabei auf gegnerische Bahnen und zwingen einen zu teils spektakulären Ausweichmanövern. Als Entschuldigung gibt es meist nur ein „Der Kampf ist doch eh schon vorbei!“
Eine Splittergruppe von Kämpfern stellen übrigens die Hetzer dar. Diese Krieger lassen sich in allen drei Akten der Schlacht finden und haben alles – außer Zeit. Hetzer sind zum Glück kein Dauerproblem, fordern jedoch für einen kurzen Zeitraum die ungeteilte Vorherrschaft über das Schlachtfeld, sogar noch vor dem Olympioniken – schließlich haben sie keine Zeit! Erfolgsversprechend ist nur, den Hetzer gewähren zu lassen und eine kurze Verschnaufpause einzulegen, denn der Hetzer ist zu allem bereit und schreckt auch vor einem tätlichen Angriff nicht zurück… das Gegenstück zum Hetzer sind übrigens die Bummler. Dieses tiefenentspannte Kämpfervolk lässt sich selten aus der Ruhe bringen – auch nicht durch einen Stau hinter ihnen. Drängeln hilft selten, in der Praxis erprobt haben sich hingegen höfliche Aufforderungen, einen passieren zu lassen, denn der Bummler ist in der Regel nicht aggressiv und viel zu entspannt, um ein Heckenscharmützel vom Zaun zu brechen.
Jeder dieser individuellen Kämpfer ist an sich schon eine Herausforderung, doch richtig losgehen tut der Kampfesspaß erst, wenn ein Hybrid auf dem Schlachtfeld erscheint. Ein Pulk Überpünktlicher wirkt gar nicht mehr so dramatisch, wenn ein ewiger Olympionike 40Kämpfe lang seine Bahnen zieht und mit seinem harten Vorbereitungsprogramm alle anderen Recken verunsichert, und geradezu lachhaft im Vergleich zu einem hochkonzentrierten Ewigen, der stundenlang das Schlachtfeld dominiert! Ans Eingemachte geht es, wenn sich unter den Kämpfern ein überpünktlicher, hochkonzentrierter, ewiger Olympionike befindet – eigentlich kann man dann nur noch das Kampffeld räumen und darauf hoffen, dass man das nächste Mal in einem anderen Akt mitkämpfen darf…
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Herzlichen Glückwunsch zu diesem super tollen Beitrag!! Habe selten so gelacht und alle „Schlachtteilnehmer“ wieder erkannt – wie wahr, wie wahr! Ja, es gibt sie – es gibt sie überall. Jetzt weiß ich wieder, was ich definitiv NICHT vermisse.
…gut analysiert.. 🙂 ….Es gibt neben den aktiven Schlachtfeldern aber auch noch die Nebenschlachtfelder an den Banden der Abreiteplätze…so viele olympia-erfahrene Mütter und Väter, die ihren Sprösslingen wild gestikulierend und artikulierend ihren Weg in die Schleifen-Hemisphere ebnen möchten…Das sind auch harte Geschütze….hahaha