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Dressursattel: Tiefer Sitz, dicke Pauschen – wirklich nötig?

von Julia Schmidt
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Tiefer Sitz, dicke Pauschen – Von Tiefsitzern und anderen Sitz-Prothesen

Ich habe in diesem Leben schon in diversen Sätteln gesessen. Sei es, weil ich eine neue Reitbeteiligung bekommen habe, mal „fremdreiten“ durfte oder auch auf der Suche nach einem eigenen Sattel. Dabei ist mir in den letzten Jahren ein Trend aufgefallen, der mich immer wieder schmunzelnd den Kopf schütteln lässt. Ich nenne diese Sättel liebevoll die „Sitz-Prothesen“.

Erst kürzlich wurde ich wieder mit dem Thema konfrontiert, als ich meinen Dressursattel verkaufen wollte. Das Mutter-Tochter-Gespann war anfangs ganz begeistert von meinem Sattel. Zumindest so lange, bis die Tochter, für deren Pferd der Sattel gedacht war, drauf saß. Schnell kam die Bemerkung: „Oh, der hat aber einen flachen Sitz und total wenig Pausche. Da hab ich ja gar keinen Halt“. Sie präsentierte mir dann auch prompt ihren alten Sattel. Da war mir sofort klar: Ja, das ist natürlich eine totale Umstellung.

Ihr bisheriger Sattel war genau so eine „Sitz-Prothese“. Tiefer Sitz, hochgezogener Sattelkranz. Pauschen so dick, wie ich sie vorher kaum gesehen habe. Das ist natürlich oberflächlich betrachtet eine feine Sache, wenn man vom Sattel in eine bestimmte Position gepresst wird und man so vermeintlich sicher sitzt. Gerade Reitanfänger verspüren dadurch eine gewisse Sicherheit im Sattel

Vermeintlich besserer Sitz…

Auf lange Sicht sind solche Sättel – die man nicht nur in der Dressur, sondern auch immer mehr im Springen vorfindet – aber absolute Bewegungskiller. Der „tiefe Sitz“ zwingt das Gesäß des Reiters quasi in diese Mulde rein. Wirklich variieren kann man seinen Sitz dadurch nicht. Die dicken Pauschen klemmen das Bein des Reiters fest. Hüfte, Gesäß und Beine werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dadurch leidet das Reiten, denn der Reiter ist in seiner Position quasi „festgestellt“. Dazu kommt, dass die Pauschen ja durch das Pferd bzw. seine Bewegungen bewegt werden und somit der Reiter auch. Dieser wiederum kann sich aber selbst nicht bewegen. Das schränkt seine Wahrnehmung und seine Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten deutlich ein. So ist feines Reiten nicht möglich.

Welche Vorteile bietet ein tiefer Sattel?

Durch tiefe Sättel verspüren Reitanfänger ein gewisse Sicherheit im Sattel.

…vs. Probleme für Pferd und Reiter

Auch die Gesundheit des Reiters leidet auf lange Sicht darunter. Kann der Reiter durch eine zu kleine bzw. zu tiefe Sitzfläche nicht richtig mit den Bewegungen des Pferdes mitgehen und mitschwingen, dann prallt die Bewegungsenergie des Pferds direkt auf Bandscheiben und Rückenmuskeln. Rückenprobleme bis hin zu Bandscheibenvorfällen sind die Folge.

Kommt der Reiter nicht zum Mitschwingen, verspannt auch das Pferd. So kann es ja gar nicht locker über den Rücken laufen, wenn ihm der Reiter ständig auf selbigem herum hoppelt. Rücken- und Trapezmuskeln verspannen, das Pferd kommt nicht zum Loslassen und wird infolgedessen auch Probleme mit der Anlehnung und dem „Vorwärts“ bekommen. Der unerfahrene Reiter ist dann meist geneigt, mit diversen Hilfsmittelchen herum zu experimentieren und erreicht damit nur noch mehr das Gegenteil.

Dressursattel – Wie war der Sitz früher?

Schaut man sich mal alte Bilder von Reitveranstaltungen an, so sieht man fast ausschließlich Sättel mit gar keinen oder nur kleinen Pauschen und relativ flachem Sitz. Der Reiter konnte sein Bein bewegen und auf die Bewegung des Pferdes deutlich besser eingehen. Der flache Sitz bot Bewegungsfreiheit für die Hüfte.

Warum findet man solche Sättel mittlerweile kaum mehr? Hauptsächlich hat der Fachhandel durch geschicktes Marketing selbst dafür gesorgt, dass die Nachfrage nach „Sitz-Prothesen“ immer mehr wird. Und wer sich nicht wirklich mit dem Thema auskennt, ist oftmals stark versucht, den Werbeversprechungen der Hersteller Glauben zu schenken. Denn die Stallkollegin hat sich ja auch erst kürzlich so einen gekauft und findet den super. Dann muss es ja zwangsläufig auch was für mich und mein Pferd sein. Der Mensch ist halt ein Rudeltier.

Wie wähle ich den richtigen Sitzer?

Wenn es ein Tiefsitzer sein soll, dann sollte man ihn ein halbes Zoll größer wählen, als sonst. So hat man immer noch genug Bewegungsfreiheit. Es muss dabei aber darauf geachtet werden, dass der Sattel immer noch auf das Pferd passt.

Sind Tiefsitzer und dicke Pauschen beim Dressursattel jetzt per se schlecht?

Ich habe mich mit einem Sattlermeister zu dem Thema unterhalten. Dieser rät: Wenn es schon unbedingt ein Tiefsitzer sein soll, dann sollte man ihn ein halbes Zoll größer wählen, als man sonst hat. Dadurch ist wieder mehr Bewegungsfreiheit in Gesäß und Hüfte möglich. Man muss dabei aber aufpassen, dass der Sattel dann auch (noch) aufs Pferd passt. Da die Auflagefläche eines Sattels nur bis zur 18. Rippe reichen darf, darf der Sattel natürlich dann nicht zu lang sein und muss auch im Schwerpunkt liegen. Ansonsten wählt man lieber einen Sattel mit flacherem Sitz.

Und die Pauschen? Der Sattler ist sich hier mit anderen Experten einig: Wenn Pausche, dann tendenziell eher gemäßigt. Ein Reiter, der losgelassen und geschmeidig sitzen kann, braucht keine dicken Pauschen.

Wie gefährlich sind tiefe Sättel?

Zu tiefe Sättel verhindern ein gutes Zusammenspiel zwischen Pferd und Reiter und damit schließlich auch gutes Reiten. Durch den tiefen Sitz kann der Reiter sich nicht mehr so gut bewegen und zwingt den Reiter quasi in eine Mulde rein.

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2 Kommentare

Farina Fuest 14. Dezember 2017 - 17:31

Mein Alltag wird hier beschrieben! Toller Beitrag und leider alles wahr. Wer weiß, vielleicht kommt nochmal die Trendwende…

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Nadine Gruyters 20. Mai 2022 - 11:39

Sehr guter Artikel, der aus meiner Sicht genau das Problem beschreibt. Ich bin früher mit wenig bis ohne Pauschen geritten und habe nun einen Sattel mit viel Pausche, da er dem Pferd passt. Ich fühle mich darin sehr beengt und eine feine Hilfengebung ist zumindest mir damit nicht möglich. Werde mir jetzt definitiv wieder einen Sattel mit wenig Pausche zulegen.

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